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Weizenmarkt: Kurse fallen trotz angespannter Lage am Schwarzen Meer / werden die Risiken unterschätzt?

Artikel vom  04.08.2023 14:15 Uhr von Andre Schäfer

Seit nun knapp drei Wochen ist die „Black Sea Grain Initiative“ (BSGI) beendet. Die Initiative der Vereinten Nationen, der Türkei, Russland und der Ukraine, die den sicheren Transport von Getreidelieferungen über das Schwarze Meer gewährleistet hat und in Deutschland als Getreideabkommen oder Getreidedeal bekannt ist, wurde nach rund einem Jahr am 17. Juli 2023 nicht von der Regierung Russlands verlängert. Innerhalb des letzten Jahres konnte die Ukraine dank dieser Vereinbarung rund 33 Mio t Getreide exportieren und damit die globalen Märkte versorgen. Über die Hälfte der Lieferungen gingen nach China, Spanien und in die Türkei, die hauptsächlichen Produkte waren Weizen und Mais mit über 75% (offizielle Zahlen, Quelle: https://www.un.org/en/black-sea-grain-initiative/data).

Schon im Mai stockten die Verhandlungen über die Verlängerung des Abkommens. Russlands Präsident Putin hatte in den letzten Monaten mehrfach betont, dass der Deal nicht den besprochenen Zweck erfülle und die russischen Forderungen nicht erfüllt werden. Damit war gemeint, dass in den ursprünglichen Verhandlungen die Versorgung bedürftiger Länder im Vordergrund stand, um eine Nahrungsmittelknappheit zu verhindern. Wie die geschilderten Zahlen allerdings zeigen, waren die Hauptdestinationen nicht afrikanische Staaten. Ägypten hat mit 1,5 Mio t nicht einmal 5% der Gesamtmenge erhalten. Putin forderte darüber hinaus, Erleichterungen beim Export von Nahrungs- und Düngemitteln zu erhalten, vor allem auch im Hinblick auf Sanktionen, die den SEPA-Zahlungsverkehr betreffen. Getreide- und Düngemittelexporte sind zwar nicht von westlichen Sanktionen betroffen, Beschränkungen bei Versicherung, Logistik und Zahlung erschweren die Abwicklung jedoch. Die Liste der Forderungen umfasste auch die Gestattung von Schiffsversicherungen für russische Schiffe, Ermöglichung der Einfuhr von landwirtschaftlichen Maschinen und Ersatzteilen und Öffnung der Ammoniakpipeline Togliatti-Odessa (Export von 2,5 Mio t Ammoniak jährlich; Pipeline derzeit beschädigt). Trotz all dieser Probleme wurde der Getreidedeal im Mai noch einmal bis Juni verlängert, was Marktbeobachtern zufolge allerdings auch einen politischen Zusammenhang mit den Wahlen in der Türkei gehabt haben könnte.

Lage nach Beendigung des Abkommens angespannter

Seitdem die BSGI nicht verlängert wurde, ist die Lage am Schwarzen Meer wieder deutlich angespannter. Andrey Sizov, Geschäftsführer von SovEcon, ist Experte für den Getreidehandel im Schwarzmeer-Raum und informiert auf x.com (früher Twitter) täglich über die Situation am Weizenmarkt mit speziellem Fokus auf sein Kerngebiet. Dieser Artikel soll sich damit befassen, ob die Akteure am Getreidemarkt die Situation rund um die Ukraine und Russland richtig einschätzen und bewerten. Die Grundlage dazu soll ein „Tweet“ von Sizov vom 21. Juli 2023, also kurz nach dem Ende des Getreideabkommens, sein (vereinfacht übersetzt aus dem Englischen; Quelle: https://twitter.com/sizov_andre/status/1682382836907618305):

So viele falsche Ansichten über den #Getreidedeal am Schwarzen Meer. Folgendes müssen Sie wissen, wenn Sie ab heute #Weizen (und #Mais) handeln:

* Die Lieferungen aus Odessa sind beendet. Die Chance war groß, dass der Kreml den Getreidehandel stoppen und allen zeigen würde, dass sie sich von Odessa fernhalten sollten. Wir haben letzte Woche nach dem ersten leichten Angriff auf Odessa und Putins wütendem Interview über ein solches Szenario informiert (der Markt/die Medien haben das übersehen – alle haben das NATO-Forum verfolgt).

* Ungeachtet dessen, was die Medien/Politiker Ihnen sagen, sind die Lieferungen aus Odessa derzeit kein Game-Changer. Die Ukraine kann mehr als 40 Mio. Tonnen Getreide über andere Routen transportieren, was mehr oder weniger ihrem 23/24-Exportpotenzial entspricht.

* Weitere Exportrouten sind die Donau und über den Landweg in die EU. Die fast vergessene Donau dehnt sich seit Kriegsbeginn rasant aus. In den letzten Wochen haben sie zum ersten Mal zwei „handysize“ Schiffe (17K) beladen.

* Ist die Donau sicher? Wir wissen es nicht. Russland bedrohte alle Schiffe im Schwarzen Meer, die zu ukrainischen Terminals fuhren, sodass möglicherweise auch Schiffe die zum Fluss fahren inkludiert sind. Einige Schiffseigner sind vorsichtig und ziehen es derzeit vor, keine Schiffe dorthin zu schicken, aber insgesamt ist die Schifffahrt immer noch aktiv und lokale Händler kaufen aktiv bei CPT Reni/Izmail/Kilia ein.

* Ein möglicher Angriff auf die Donau-Terminals könnte ein Game-Changer sein. Beobachten Sie dies sorgfältig. Ist es wahrscheinlich, dass es passiert? Die Chance ist nicht zu vernachlässigen, aber gering, der Kreml will sich offensichtlich nicht mit der NATO anlegen und Rumänien ist sehr nahe dran. Besorgniserregend ist, dass russische Propagandisten, die sich über die Angriffe von Odessa freuten, jetzt anfangen, über die Donau zu sprechen …

* Eine mögliche Eskalation könnte von ukrainischer Seite ausgehen. Wir bezweifeln zwar, dass sie Schiffe, die zu russischen Häfen fahren, offen angreifen würden, aber einige Versuche, die Lieferungen zu stören, sind möglich (z. B. weitere Angriffe auf die Krimbrücke mit Auswirkungen auf russische Lieferungen aus Asow oder Noworossijsk). Wenn hier etwas Großes passiert, könnten wir eine ähnliche Rallye wie im Februar-März 2022 erleben. Russland hat fast 50 Millionen Tonnen Weizen zu liefern.

* Ein möglicher Weg zur Deeskalation? Der existiert… wir werden Erdogan beobachten. Wir glauben, dass Moskau und Ankara schon vor einiger Zeit über das Ende des Getreideabkommens diskutiert haben – Ankara war offensichtlich nicht überrascht. Wir wissen auch, dass Erdogan den Deal immer noch mag und großen Einfluss auf Moskau hat.

 

Quelle: Twitter (x.com) / Andrey Sizov

 

Ausgangslage nach Ende des Getreidedeals

Dieser Tweet beschreibt die Situation vor zwei Wochen gut, doch seitdem hat sich einiges getan. Über Odessa laufen wie beschrieben keine Getreidelieferungen mehr. In den letzten Wochen wurde der Hafen dennoch mehrfach angegriffen. Von russischer Seite wurde zwar stets betont, dass die Ziele stets militärische Hintergründe haben, bei den Angriffen wurden allerdings Getreidesilos und Exportinfrastruktur sowie ca. 60.000 t Getreide beschädigt oder zerstört. Über das genaue Ausmaß wurde nicht berichtet. Herr Sizov sieht Odessa allerdings derzeit nicht als Game-Changer und will den Fokus viel mehr auf eine andere Region richten.

Seitdem Ausfuhren über Odessa nicht mehr möglich sind, liegt das Augenmerk auf den ukrainischen Häfen an der Donau. Zum ukrainischen Staatsgebiet gehört noch ein „Zipfel“ südlich von Odessa zwischen Moldawien und dem Schwarzen Meer. Im Süden bildet die Donau die Grenze zu Rumänien. Diese verläuft rund 200km zwischen den Ländern und auf ukrainischer Seite liegen die drei Häfen Kilia (etwa 50km zur Küste), Izmail (etwa 90km zur Küste) und Reni (etwa 180 km zur Küste). Auf dem Landweg erreicht man diese nur durch einen kurzen Grenzübertritt von weniger als 10km durch Moldawien. Per Bahn gibt es Routen, bei denen der Übertritt vermieden werden kann.

Diese Häfen haben zuletzt extrem an Bedeutung gewonnen. Sie haben den Vorteil, dass Sie nicht direkt am Schwarzen Meer liegen, sondern am Grenzgebiet zu Rumänien, einem NATO-Partner. Sizov widersprach unterschiedlichen Medienberichten, dass „nur“ drei Schiffe die russische Blockade durchbrochen haben und sich auf dem Weg in die entsprechenden Häfen befinden. Er beschreibt in einem Tweet vom 01. August, dass seit Wochen regelmäßig Schiffe in die Donau-Terminals gefahren sind und diese Schiffe keine Ausnahme bilden.

Angriffe auf Donau-Terminals

Die Lage änderte sich allerdings, als auch der Donauhafen in Izmail angegriffen wurden. Medienberichten zufolge wurden dabei neben der Hafeninfrastruktur auch Treibstofflager, Verwaltungsgebäude und zwei Getreidesilos beschädigt. Auch 40.000 t Getreide blieben laut Minister Oleksandr Kubrakov nicht von den Angriffen verschont. Zunächst mussten die Verladungen unterbrochen werden, sie wurden später allerdings wieder aufgenommen.

Russland weiß um die Wichtigkeit der Donau-Terminals. Sie sind die wichtigste Alternativroute für den Export der Ukraine und liegen eigentlich strategisch mit der Grenze zu einem NATO-Land nicht schlecht. Wie Sizov in seinem Tweet schrieb, können die jüngsten Angriffe ein Game-Changer sein. Auch wenn Sizov die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs falsch einschätzte und davon ausging Attacken auf die Donau-Terminals ausbleiben könnten, schrieb er „Ein möglicher Angriff auf die Donau-Terminals könnte ein Game-Changer sein. Beobachten Sie dies sorgfältig.“ Medienberichten zufolge können die Verladungen zwar derzeit fortgesetzt werden, dennoch zeigt sich die Entschlossenheit der russischen Führung, gegen ukrainische Ausfuhren vorzugehen oder diese zu behindern. Der Hafen in Izmail wurde bereits mehrfach beschossen. Nach den Angriffen warteten viele internationale Schiffe vor der Donaueinfahrt ab, um die weiter Entwicklung der Lage zu begutachten. Darüber hinaus führen die Unsicherheiten zu höheren Prämien bei den Versicherern.

Alternativrouten für die Ukraine

Neben den Donauhäfen sind nach Ende des Getreidedeals auch Ausweitungen der Ausfuhren auf dem Landweg geplant. Allerdings bestehen hier mehrere Probleme. Exporte über die Schienen sind möglich und wurden in der Vergangenheit auch schon umgesetzt, mit der Hürde, dass die Spurweiten unterschiedlich sind. Damit muss die Ware einmal umgeschlagen werden, was zu erhöhtem Aufwand führt. Über die Straße gibt es zwei Probleme. Das eine liegt direkt hinter der Grenze. Die Landwirte in den östlichen EU-Ländern fürchten durch das hohe zusätzliche Angebot einen Preisverfall der Ware, der die Landwirte und Händler unter Druck setzen würde. Die EU hat als Reaktion auf die Proteste östlicher EU-Länder bis zum 15. September einen Importstopp gegen ukrainisches Getreide verhängt, was auf Unverständnis in Kiew traf. Polen kündigte bereits an, auch nach Ablauf der Frist keine Importe vorzunehmen. Im Herbst sind in Polen Wahlen und dort werden Sie auf dem Land gewonnen. Die EU steht einem Transit zu den EU-Häfen allerdings offen gegenüber, was zum zweiten Problem führt. Sicherlich könnten sich Routen ergeben, auf denen das Getreide durch die EU zu Häfen gefahren und dort zum Weiterverkauf verladen wird, doch die hohen Kosten machen diese Alternative unwirtschaftlich. Russland kann seinen Weizen deutlich konkurrenzfähiger anbieten. Der ukrainische Präsident Selenski forderte die EU auf, für Teile der Kosten aufzukommen, die auf dem Landweg entstehen, was vorerst allerdings abgewiesen wurde.

Mit diesen Problemen zeigt sich, dass bei den Alternativrouten vor allem die Donau-Terminals eine wichtige Rolle spielen. Deshalb misst Sizov diesen Häfen bzw. möglichen Angriffen auch eine so hohe Wichtigkeit und Brisanz zu. Unterschiedlichen Medienberichten zufolge sei es der Ukraine möglich, über die Donauhäfen und den Landweg bis zu 5 Mio t monatlich auszufahren (3 Mio t Donau / 1,2 Mio t Schiene / 0,8 Mio t Straße). Eine Exportmenge wie in der Vorsaison wäre somit umsetzbar.

Ukraine schlägt zurück

Ein derzeit extrem wichtiger und nicht zu vernachlässigender Punkt können auch mögliche Eskalationen sein, die von der Ukraine ausgehen. Sizov schrieb: „Wenn hier etwas Großes passiert, könnten wir eine ähnliche Rallye wie im Februar-März 2022 erleben.“ Die Aussage ist extrem und wird möglicherweise zu heftig eingeschätzt. Doch die Ukraine hat schon mehrfach Moskau angegriffen, ist dem Vernehmen nach offiziell für die Sprengung der Krimbrücke verantwortlich und möglicherweise auch für einen Raketenangriff in der Stadt Taganrog, die in der Nähe der Hafenstadt Rostov liegt. Hier gehen die Medienberichte allerdings weit auseinander. Gestern kam auch Meldung eines ukrainischen Angriffs auf zivile Schiffe und die russische Marine auf, die allerdings vereitelt werden konnten. Kiew bestritt den Angriff ziviler Schiffe, hielt sich mit Äußerungen zur russischen Marine allerdings zurück. Heute Morgen folgte die Meldung eines abgewehrten ukrainischen Angriffs auf den Hafen in der russischen Stadt Noworossijsk.

Auch wenn keine russischen Schiffe direkt angegriffen werden, scheinen die Ziele der vermeintlichen ukrainischen Angriffe nicht willkürlich ausgewählt zu sein. Die Hafenstadt Taganrog liegt in unmittelbarer Nähe (weniger als 50km Luftlinie) zu Rostov. Abgesehen von den südlichsten Regionen Russlands ist der Hafen in Rostov der schnellste Zugang zum Schwarzen Meer über das Asowsche Meer und damit zu den Weltmärkten. Rund ein Drittel der russischen Getreideausfuhren wird über diesen Hafen abgewickelt. Auch die Krimbrücke bzw. die Stadt Kertsch scheinen mit Bedacht als Ziel ausgewählt worden zu sein. Zum einen sicherlich, weil auf der Krim vermeintlich wichtige militärische Lager sind, zum anderen aber auch, weil sich hier die einzige Passiermöglichkeit zwischen dem Asowschen Meer und dem Schwarzen Meer ergibt. Für Russland ist dieser Seeweg somit von elementarer Wichtigkeit, weil hier auch Rohöl, Heizöl, Flüssiggas und andere Güter exportiert werden. Sizov zufolge wurde die Durchfahrt durch die Meerenge zwischenzeitlich beschränkt, später aber zumindest tagsüber wieder freigegeben. Da es mehrfach nachts zu Angriffen kam, könnte die Beschränkung nachts bestehen bleiben.

Anhand der Angriffe und Ziele beider Parteien zeigt sich, dass man sich gegenseitig nicht nur auf die Zerstörung von militärischer Infrastruktur beschränkt, sondern vor allem markante Punkte der jeweiligen Export-Knotenpunkte zerstören möchte. Und die Eskalationen können sich noch verschärfen. Russland könnte mit anhaltenden Angriffen auf Odessa sämtliche Infrastruktur über Jahre zerstören und mit weiteren Attacken auf die Donauhäfen die Exportmöglichkeiten weiter behindern. Angriffe auf das Schienen und Straßennetz wären möglich, direkte Angriffe auf Schiffe werden beiderseits vorerst nicht erwartet. Und was passiert, wenn wirklich der Hafen in Rostov angegriffen oder die Meerenge in Kertsch vorübergehend oder dauerhafter blockiert wird. Entsprechende Ausweitungen der Angriffe auf die russische Infrastruktur sind nicht ausgeschlossen. Russlands Exportpotential, im letzten Jahr immerhin rund 50 Mio t, würde rapide zurückgehend und die globale Versorgung somit verringern.

Wie reagiert der Weizenmarkt

An der Euronext hat Weizen nach dem Ende des Getreideabkommens und den ersten russischen Angriffen auf Odessa schnell über 10% zugelegt und der Frontmonat September23 handelte Ende Juli zwischenzeitlich bei 265 €. Diese Aufschläge wurden in den letzten 8 Handelstagen ebenso schnell wieder abgebaut, sodass der Weizenkurs wieder die Ausgangslage eingenommen hat. Das verwundert angesichts ständiger Angriffe auf die kritische Infrastruktur der beiden Länder doch etwas. Eine gewisse Risikoprämie bei möglichen „größeren Ereignissen“, wie Sizov sie nennt, sollte hier möglicherweise eingeplant werden! Die Wahrscheinlichkeit deutlicher Abschläge ist derzeit sowohl vor den genannten Hintergründen als auch der Ernteaussichten in der EU und den USA eher gering. Das Risiko bzw. die Chance deutlicher Aufschläge ist bei steigender Konfliktbereitschaft hingegen gegeben. Lassen Sie dies in Ihre Marktbewertung mit einfließen.

 

Weizenchart Euronext September23

 

Möglichkeit der Deeskalation

Am Ende seines Tweets geht Sizov auch noch auf die Möglichkeit einer Deeskalation ein und beschreibt auch in weiteren Tweets die Chancen auf eine Fortführung / Erneuerung des Getreidedeals. Wichtig sei derzeit sicherlich der Kontakt zwischen Erdogan und Putin. Erdogan ist Befürworter des Abkommens und nennt es eine „Brücke für den Frieden“. Er könnte die Verhandlungen, wie schon vor einem Jahr, führen. Aus einem Telefonat am Mittwoch zwischen den beiden Präsidenten soll hervorgegangen sein, dass Erdogan Putin in die Türkei eingeladen und Putin zugesagt haben soll. Darüber hinaus gab es Meldungen, Moskau stehe dem Abkommen offen gegenüber, wenn seine Forderungen erfüllt werden.

Diese Äußerungen waren möglicherweise der Auslöser für die jüngsten Rücksetzer, doch die Meldungen wurden von manchen Marktteilnehmern auch anders wahrgenommen. Sizov schrieb am Mittwoch in Bezug auf den Getreidedeal „[it's dead in the water]“ (deutsch: es liegt tot im Wasser) und glaubt somit nicht an eine schnelle Lösung. Auf das Gespräch folgend schrieb Sizov: „Ankara nach dem Anruf: Die Präsidenten treffen sich in Kürze in der Türkei. Moskau: Ort und Datum des Treffens werden noch festgelegt. Es scheint, dass die Spannungen hier allmählich zunehmen.“ Als gut informierter Experte stellt er sich damit gegen die weitläufige Meinung. Andere Medien sprechen auch von einem „Gambit“ (im Schach: Spieler gibt Material auf, um später einen Positionsvorteil zu erlangen). Russland habe mit dem Ende des Getreidedeals möglicherweise Reputationsverluste erlitten und würde mit den zugesagten kostenlosen Getreidelieferungen an afrikanische Länder Löcher in die Staatskasse reißen. Moskau erhofft sich allerdings die Rückendeckung der belieferten Länder, wenn es darauf ankommt. In diesem Fall wäre eine schnelle Rückkehr zum Getreideabkommen unwahrscheinlich.

Fazit

Die kommenden Tage und Wochen werden zeigen, ob der Markt die Risiken nicht sehen will oder diese als zu harmlos betrachtet hat. Auch die US-Fonds sollen ihre Netto-Shortposition in dieser Woche wieder ausgeweitet haben, nachdem sie diese von Ende Mai bis Ende Juli massiv um 80% abgebaut haben. Sizov nahm dieses Verhalten mit Unverständnis auf. Ein genaueres Bild könnte der CoT-Report von heute Abend bieten.

Nach den jüngsten Rücksetzern stellt sich somit die Frage, ob das derzeitige Kursniveau beim Weizen Kaufgelegenheiten bietet. Charttechnisch war der jüngste Rücksetzer nachvollziehbar, fundamental kamen bei diesen Abschlägen in der derzeitigen Marktlage bereits Zweifel bei einigen Marktteilnehmern auf. Sicherlich bietet Russland sein Getreide derzeit zu konkurrenzfähigen Preisen, bspw. im jüngsten Ägyptentender, an und übt damit Druck auf die globalen Preise aus. Doch möglicherweise ist der Kurs etwas unterbewertet. Nicht nur angesichts der Risiken im Schwarzen Meer, sondern auch aufgrund der europäischen Ernte (stockender Erntefortschritt in Nordeuropa), der US-Produktion oder auch der möglichen Weizenimporten Indiens, die seit kurzem auf 9 Mio t geschätzt werden. Die Chancen auf die Zustimmung zu einem Getreidedeal Seitens Russlands sind schwer einschätzbar und selbst bei erfolgreichen Verhandlungen wäre die Frage, ob der Weizenkurs noch deutlich unter Druck geraten würde.

 

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Neuer Tweet am Donnerstagnachmittag

Update: Am Donnerstagnachmittag twitterte Sizov ein längeres Update, dass wir Ihnen nicht vorenthalten möchten (vereinfacht übersetzt aus dem englischen, Quelle: https://twitter.com/sizov_andre/status/1687106476312272896):

Der #Weizenmarkt ignorierte die Nachricht über einen neuen Angriff auf ukrainische #Donau-Terminals. +4 % während der nächtlichen CBOT-Sitzung … fast -2 % zum Schluss. Macht das Sinn? Wahrscheinlich nein. Lassen Sie uns tief eintauchen.

Die Donau bleibt mit einer monatlichen Kapazität von 2,0 bis 2,5 Millionen Tonnen die wichtigste Exportroute für ukrainische Getreidelieferungen.

Russland hat vor einer Woche die Donauterminals angegriffen und dann gestoppt. Wir dachten, dass sie beim viel beworbenen „Russland-Afrika“-Gipfel letzte Woche vielleicht nicht schlecht dastehen wollten.

Das Alternativszenario wäre, dass der Kreml nach den Warnungen der NATO und Rumäniens beschloss, sich von der Donau fernzuhalten. Nach dem Angriff diese Woche wissen wir jetzt, dass dies nicht mehr der Fall ist.

Wir glauben, dass es in nicht allzu ferner Zukunft zu weiteren Angriffen auf die Donau kommen könnte. Es scheint, dass die Luftverteidigung in der Region weiterhin schwach ist (und die Drohnen billig sind). Kiew muss seine Drohnenabwehr so schnell wie möglich verstärken.

Bisher hatten russische Angriffe nur begrenzte Auswirkungen auf den Getreidefluss aus der Donau. In der Region gibt es immer noch eine riesige Warteschlange an Schiffen. Allerdings steigen die Frachtraten, nach dem ersten Angriff sprangen sie von ca. 30 $/mt auf ca. 40 $/mt (#Izmail-Constanta). Werden wir einen weiteren Anstieg der Fracht erleben oder wird die Mehrheit der Schiffseigner ihre Schiffe nicht mehr dorthin schicken? Könnte beides sein.

Was ist mit der Wiedereröffnung der großen Odessa-Terminals und dem Neustart des „Getreidedeals“? Dies scheint in naher Zukunft nicht in Frage zu kommen, insbesondere nach dem gestrigen Gespräch zwischen Erdogan und Putin. Ankara nach dem Anruf: Die Präsidenten treffen sich in Kürze in der Türkei. Moskau: Ort und Datum des Treffens werden noch festgelegt. Es scheint, dass die Spannungen hier allmählich zunehmen.

Was zum Teufel ist gestern passiert? Nur die Short-Positionen frischer Fonds (siehe Diagramm mit steigendem OI bei kollabierendem ZWZ unten). Die Fonds haben Weizen in letzter Zeit in einem Rekordtempo verkauft (rund 30.000 nur während drei Sitzungen in dieser Woche) und sie scheinen zu glauben, dass die Wahrscheinlichkeit einer Störung im Schwarzen Meer vernachlässigbar ist. Sie könnten sich irren.

 

Quelle: Twitter (x.com) / Andrey Sizov

 

 

Freitag 04.08.2023 12:00 Uhr

 

Disclaimer: Diese Information ist nur an unsere Kunden und Geschäftspartner gerichtet. Sie gibt unsere fachliche Meinung zu aktuellem Marktgeschehen wieder. Märkte und deren Bewertung unterliegen oft sehr kurzfristigen Veränderungen. Eine Haftung für Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität wird ausgeschlossen. Dies ist keine Anlageberatung.

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