Schwacher Euro, hohe Preise - starker Euro, schwache Preise?
Analysten von Agrarbanken sehen derzeit kaum Anzeichen für eine weitere Aufwertung des Euro. Doch deshalb wird Getreide aus Deutschland nicht unbedingt teurer.
Der Euro ist zum Start in die Woche 1,0685 US-Dollar wert. Damit hat die Gemeinschaftswährung zuletzt wieder etwas an Wert gewonnen, liegt aber immer noch unter den jüngsten Spitzenwert in der ersten Februarhälfte, als der Euro 1,10 US-$ Wert war. Aber auch der Kurs von Ende September 2022, als der Euro lediglich rund 0,96 US-$ kostete, scheint in weiter Ferne zu liegen.
Auf dem jüngsten Tiefpunkt des Euro Ende September 2022 wurde der Frontmonat für Mahlweizen an der Euronext („Matif“) noch mit 349,50 €/t bewertet. Zur der Zeit, als der Euro um den 10. Februar dieses Jahres herum mit rund 1,10 US-Dollar seinen jüngsten Höhepunkt erreichte, notierte die Euronext immerhin rund 296 €/t für den Weizen-Future. Zum Beginn dieser Woche am heutigen Montag dagegen wollten Käufer an der Pariser Börse gerade einmal 261€/t für den Kontrakt ausgeben.
Krisen mal mehr, mal weniger präsent
Das zeigt: Währungseffekte haben zwar mitunter deutliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Getreidepreise, aber der Zusammenhang ist nichts zwangsläufig so eindeutig. Zumal, wenn das Marktumfeld, wie derzeit der Fall, nicht durch normale Umstände gekennzeichnet ist, sondern durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Mit dem Krieg wiederum gehen weitere Wirtschafts- und Versorgungskrisen einher – auch wenn diese Krisen an den Rohstoff- und Devisenmärkten mal mehr und mal weniger präsent sind.
Doch zurück zur Währung: Ein schwacher Eurokurs verleiht den Getreidepreisen im Euroraum üblicher Weise Aufwind. Da im internationalen Getreidemarkt in US-Dollar abgerechnet wird, können deutsche und andere EU-Herkünfte von einem schwachen Eurokurs profitieren. Denn der günstige Euro macht hiesiges Getreide für internationale Einkäufer preiswürdig, da es in US-Dollar umgerechnet weniger kostet als Getreide aus Herkünften mit stärkerer Währung. Umgekehrt gilt aber auch: Ein starker Euro macht EU-Getreide preislich wenig attraktiv für internationale Importeure, da die Ware durch die Umrechnung in US-Dollar teurer wird.
Die internationalen Währungsanalysten der im Agribusiness verwurzelten Rabobank gehen aktuell davon aus, dass der Eurokurs Richtung Sommer nachgeben könnte. Als Gründe dafür nennen sie unter anderem anhaltende Erwartungen an eine robuste Wirtschaftsentwicklung in den USA und weitere Erhöhungen des Leitzinses durch die US-Notenbank Fed. Ab Ende 2023 / Anfang 2024, so die Analyse der Rabobank-Experten, dürfte der Dollar aber wieder abwerten, da die Märkte - zumindest aktuell - dann wieder mit einer nachgebenden Zinspolitik in Übersee rechnen.
Nord LB erwartet Seitwärtsbewegung
Die ebenfalls im Agrargeschäft profilierte Nord LB sieht den Euro für die kommenden sechs bis zwölf Monate auf dem derzeitigen Niveau von 1,06 bis 1,07 US-$. Sie begründet ihre Einschätzung auf Anfrage damit, dass die Devisenmärkte weitere Leitzinsanhebungen auch durch die Europäische Zentralbank in Frankfurt wohl eingepreist hätten. Nachdem die Märkte in den vergangenen Wochen zunächst stark auf die Leitzinserhöhungen der US-Notenbank reagiert hatten und der Dollar gegenüber dem Euro an Wert gewonnen hatte, dürften die Märkte aber auch hier gleichgültiger werden: Die Nord LB gibt zu bedenken, dass die jüngsten Aufwertungstendenzen der US-Währung „in der Summe letztlich wohl sogar als Übertreibung zu beurteilen sein dürften.“
Generell gelten die Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung in der Eurozone durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine am Devisenmarkt aber weiterhin als deutlich höher als in den USA – was für manch einen Beobachter im deutschen Getreidehandel perspektivisch eher für einen starken Dollar spricht. Zwar würde dies potenziell auch die Getreidepreise im Euroraum (und somit auch in Deutschland) stützen, da hiesiges Getreide dann theoretisch wieder preislich wettbewerbsfähig am Weltmarkt wäre. Doch aus Sicht mancher Marktkenner gibt es für die weitere Entwicklung der Getreidepreise wichtigere Einflussfaktoren.
Russland exportiert zu günstigen Preisen
So stehen für Carl Offergeld aus der Geschäftsführung des Getreidevermarktungs-Joint-Ventures „Raiffeisen Agri Trading Rhein-Main“ von RWZ Köln und Raiffeisen Waren in Kassel folgende Faktoren im Vordergrund: „Der sichtbare Preis- und Prämienverfall an den Export- sowie den hiesigen Kassamärkten resultiert vielmehr aus einer drastischen Zunahme des physischen Angebots seit Jahresbeginn, vor allem aus oder über Osteuropa.“
Ein Grund dafür, dass EU-Getreide auch in den jüngsten Schwächephasen des Euro gegenüber anderen Herkünften nicht automatisch wettbewerbsfähiger sei, liegt für Offergeld daher in der regen Exporttätigkeit Russlands. Die Ausfuhren von Weizen aus Russland dürften auf „stetigen Niveau bleiben“, schätzt der Marktkenner. Denn in den vergangenen Monaten habe es beispielsweise nur wenige, jahreszeitbedingte Unterbrechungen aufgrund schwieriger Transportlogistik im Winter gegeben. „Russland scheint ein großes Interesse daran zu haben, seine Rekordweizenernte am Weltmarkt zu platzieren, oftmals zu sehr günstigen Preisen.“ Dies habe zu stark rückläufigen Kursen an allen Märkten geführt, unterstreicht Offergeld.
Auch die Analystinnen von Stratégie Grains / Tallage schätzen die russischen Weizenexporte weiter sehr hoch ein: Von „rund 45 Millionen Tonnen im Wirtschaftsjahr 2023/24“ spricht Hélène Duflot aktuell. Zum Vergleich: Das US-Agrarministerium hat zwar noch keine Prognose für das kommende Wirtschaftsjahr herausgegeben, sieht die russischen Weizenausfuhren in der laufenden Saison 2022/23 lediglich bei 43,5 Mio.t.
Ähnlich wie auch viele andere Marktteilnehmer schätzt die Stratégie-Grain-Analystin, dass das Abkommen für den Getreidekorridor zum sicheren Export von Agrarrohstoffen aus der Ukraine, das am 18. März ausläuft, verlängert wird – auch wenn sie der Vollständigkeit halber darauf verweist, „keine Kristallkugel in den Händen zu halten“. Das französische Analystenhaus zeigt sich dabei allerdings in einer wichtigen Frage skeptisch: So gehe zwar die Ukraine davon aus, dass die Handelshäfen von Mykolajiw am Schwarzen Meer in den Korridor miteinbezogen würden, „doch der Hafen scheint uns sehr nahe dem aktuellen Kampfgebiet zu sein, deshalb glauben wir nicht wirklich daran“, so Stratégie Grains. Falls Mykolajiw doch in Getreidekorridor miteinbezogen würde, „dann möglicherweise lediglich, um festsitzenden Schiffen das Auslaufen zu ermöglichen.“
US-Analyst: Marktlage „prekär“
Unter dem Strich bleibt die Lage am Agrarrohstoffmarkt eben auf Grund des Kriegs in der Ukraine angespannt – auch wenn aktuell keine Knappheit eingepreist wird. Dan Basse, Analyst des Chicagoer Analystenhauses AgResource Co, hält es zwar für möglich, dass der internationale Getreidemarkt auch mit kriegsbedingt geringeren Ernten in der Ukraine zurechtkommt, weist aber laut einem Reuters-Bericht vom heutigen Montag daraufhin, dass es anderswo auf der Welt keinen Angebotsschock geben dürfe – denn die Lage sei „prekär“. Zu dieser Beobachtung passt, dass Argentinien, wichtiger Player am Mais- und Sojamarkt, derzeit unter einer schlimmen Dürre leidet.
Handelsmanager Offergeld hält die Entwicklungen in Argentinien jedenfalls für potenziell Markt beeinflussend: „Was die Betrachtung von Währungen angeht, ist für die kommenden Wochen und Monate aus Getreidehandelssicht die Entwicklung des argentinischen Pesos entscheidender. Mit einer galoppierenden Inflation und einer Missernte voraus (nicht unwahrscheinlich) drohen hier soziale Unruhen“, sagt er.
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