Indien könnte Importbeschränkungen für Weizen lockern
Mehr und mehr werden Zweifel an der offiziellen Prognose für eine Rekord-Weizenernte in Indien laut. Sollte die indische Regierung die Produktion tatsächlich deutlich überschätzt haben, müsste das Defizit durch Importe gedeckt werden.
Indien zählt zu den größten Weizenproduzenten weltweit. Noch gehen offizielle Prognosen im Land selbst sowie das US-Agrarministerium (USDA) davon aus, dass Landwirte dort 2023 eine Rekordweizenernte eingefahren haben. Doch angesichts nicht immer optimaler, klimatischer Bedingungen während der Pflanzenentwicklung und zögerlicher Verkäufe aus der Landwirtschaft werden erste Zweifel an den optimistischen Prognosen laut. Erste Marktanalysten stellen Gedankenspiele an, ob Indien im laufenden Wirtschaftsjahr 2023/24 zum Importeur von Weizen werden könnte.
Aber der Reihe nach. Im Wirtschaftsjahr 2021/22 hat das USDA die Weizenerzeugung in Inland mit 109,6 Mio. t beziffert, bei einem Inlandsbedarf von 109,9 Mio. t. In der folgenden, dürregeplagten Saison 2022/23 fiel die Erzeugung mit 104 Mio. t bei einem Verbrauch von knapp 109 Mio. t nicht mehr bedarfsdeckend aus. Angesichts dessen und angesichts der Marktturbulenzen infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verhängte die indische Regierung im Mai 2022 einen Exportstopp für Weizen. So sollte gewährleistet werden, dass die Reserven der Regierung für inländische Versorgungsprogramme ausreichend gefüllt sind und der Preisanstieg gebremst werden.
Private Händler rechnen mit 10 Prozent weniger Ware
Die indische Regierung selbst schätzt die Weizenernte 2023 aktuell noch auf 112,74 Mio. t. Das USDA folgt in seinem Wasde-Report von Juni der optimistischen, offiziellen Prognose und erwartet, dass indische Landwirte im laufenden Jahr 113,5 Mio. t Weizen produzieren werden. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters von Ende Juni gehen Verarbeiter im Land aber mittlerweile von einer mindestens 10 Prozent kleineren Weizenernte aus, als sie die Regierung erwarte. Sprich: Statt rund 113 Mio. t Weizen hätte Indien nur zwischen 101 und 103 Mio. t eingefahren.
Üblicherweise beginnt die Weizenernte in Indien im Zeitraum März/April. Bis Juni haben Erzeuger für gewöhnlich den Großteil ihrer Ernte an Vermarktungsagenturen der Regierung oder private Händler verkauft. Dass das Preisniveau im Land sehr hoch und bislang sehr wenig Weizen auf den Markt gelangt sei, legt nach Einschätzung des inländischen Händlers Roller Flour Millers‘ Federation nahe, dass die Ernte niedriger ausgefallen sei als von der Regierung prognostiziert, heißt es weiter in dem Reuters-Bericht. Auch aus globalen Handelshäusern in Indien gibt es demnach Vermutungen, dass die Regierung die Produktion überschätzt und Hitzewellen im Februar und März sowie Regenfälle im April bei ihren Berechnungen unzureichend berücksichtigt habe.
Regierung will Einlagerung begrenzen
Ursprünglich hatte die Regierung zudem erwartet, 34,2 Mio. t Weizen aus der diesjährigen Ernte aufkaufen zu können für ihre eigenen Vermarktungsprogramme. Diese haben zum Ziel, die Nahrungsmittelpreise und die Versorgung mit Weizen als wichtigem Grundnahrungsmittel stabil zu halten. Doch statt der angestrebten 34,2 Mio. t hat die Regierung bislang nur rund 26 Mio. t aufkaufen können, wie Nachrichtenagenturen berichten. Auch Importe will die Regierung möglichst vermeiden. Nach einem Bericht der australischen Marktinformations-Plattform Grain Central haben allerdings erste Vertreter von indischen Vermarktungsagenturen anklingen lassen, die seit 2019 geltende Importabgabe von 40 Prozent falls nötig zu senken.
Wie wichtig für die indische Regierung die Begrenzung des Preisanstiegs bei Weizen ist, zeigt außerdem folgende Maßnahme: So hat das Landwirtschaftsministerium laut Berichten von Reuters kürzlich mitgeteilt, die Menge an Weizen, die Händler in ihren Lägern halten, zu begrenzen. So solle verhindert werden, dass Händler Ware einlagern, um die Weizenpreise künstlich hoch zu halten. Nach Angaben auf der Plattform Indiaexpress.com soll es Händlern und Großhändlern gestattet sein, lediglich 3.000 t Weizen zu jedem Zeitpunkt zu bevorraten.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Weizenvorräte in Indien in den vergangenen Jahren zusammengeschmolzen sind. Zum Ende des Wirtschaftsjahres 2020/21 bilanzierte das USDA noch eine Menge von 27,8 Mio t. Zwei Jahre später sind es nur noch 9,5 Mio t. Der Spielraum, aktuelle Engpässe durch einen Griff in die Vorratskammer auszugleichen, ist damit deutlich kleiner geworden.
Die Baywa AG in München als global tätiger Getreidehändler unterhält zwar am indischen Weizenmarkt keine eigenen Aktivitäten, hält es aber aus der Beobachterposition heraus auch für wahrscheinlich, dass die dortige Regierung die Weizenernte überschätzt hat. Entsprechend schließen auch die Marktexperten der Baywa nicht aus, dass das Land in der laufenden Saison Importe tätigen könnte. Diese Importe wären allerdings in ihrer Menge so begrenzt, dass sie den globalen Markt nicht nennenswert beeinflussen dürften, teilt der Münchner Konzern auf Anfrage weiter mit. Von einem etwaigen Importbedarf Indiens dürften nach Einschätzung der Baywa am ehesten Russland und Australien profitieren.
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