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Analyse: Spanien und China geben die Richtung am Gerstenmarkt vor

Artikel vom  20.06.2023 12:45 Uhr von Stefanie Pionke

Vor allem Sommergeste in Europa leidet unter den aktuell hohen Temperaturen und der Trockenheit. Spanien, das voraussichtlich eine noch schlechtere Ernte als im Vorjahr einfahren wird, ist auf Importe aus dem EU-Binnenmarkt angewiesen. In Australien richtet sich der Fokus auf das Klimaphänomen El Nino. Zudem entscheidet die Nachfrage Chinas mit über die Dynamik am globalen Gerstenmarkt.

Coceral, der Verband der Getreidehändler in der EU, hat kürzlich seine Prognose für die Gerstenproduktion 2023 in den EU-Mitgliedstaaten und dem Vereinigte Königreich um 3 Mio. t auf 56,6 Mio. t reduziert. Besonders in Schweden, Dänemark und den baltischen Staaten seien die Erwartungen an die Ernte aufgrund der herrschenden Trockenheit erheblich zurückgegangen, stellt der Verband fest.

Florian Rasche, Bereichsleiter Getreidehandel bei team Agrar (vormals HaGe Kiel), geht angesichts der anhaltend trockenen Witterung im Norden und Nordosten Deutschlands von erhöhten Schmacht- und Kleinkornanteilen bei Gerste aus; auch das Hektolitergewicht werde mancherorts leiden, erwartet Rasche. Allerdings unterscheidet der Marktkenner zwischen Winter- und Sommergerste: Aufgrund der guten Niederschläge von Jahresbeginn bis April sei der Ertrag bei der Wintergerste weniger gefährdet als bei der Sommergerste, die voraussichtlich deutlichere Einbußen hinnehmen müsse. Was die Braugerste angeht, würden hierzulande jetzt Niederschläge benötigt, um die Pflanzen in ihrer aktuellen Kornbildungsphase zu unterstützen, ergänzt Martin Unterschütz, Bereichsleiter Getreidehandel bei der Baywa AG in München. Insgesamt geht team Agrar gegenwärtig von rund 11 Mio. t Gerste in Deutschland aus; Coceral schätzt die Produktion hierzulande auf 11,3 Mio. t.

Konkurrenz um Spanien

Bernhard Chilla, Marktanalyst der Agravis Raiffeisen AG in Münster, erwartet ebenfalls, dass die Wintergerstenbestände auf den guten Standorten hierzulande das trockene Wetter relativ glimpflich überstehen werden. Er rechnet aufgrund der warmen Temperaturen jedoch mit einer schnellen Abreife und einem sehr frühen Druschbeginn. Nach einer qualitativ überdurchschnittlich guten Gerstenernte im Vorjahr, stehe in der aktuellen Kampagne nun das Hektolitergewicht im Fokus, so Chilla weiter.

Die Nachfrage nach Gerste aus Deutschland im kommenden Wirtschaftsjahr 2023/24 beurteilt team-Agrar-Experte Rasche differenziert. In Spanien, das aufgrund der eigenen, dürregeschwächten Ernte in der noch laufenden Saison 2022/23 ein wichtiger Absatzmarkt für hiesige Ware war, rechnet Rasche im kommenden Wirtschaftsjahr mit wachsender Konkurrenz. Dabei bleibt Spanien ein Markt mit Absatzpotenzial, prognostiziert die EU-Kommission 2023 doch eine noch kleinere Ernte als im Vorjahr: Erzeugten spanische Landwirte 2021 noch 8,9 Mio.t Gerste, waren es 2022 nur 6,6 Mio. t. Für 2023 geht die Kommission lediglich von knapp 5,3 Mio. t Gerste aus Spanien aus.

Bereits aktuell sei deutsche Gerste aufgrund günstigerer Offerten aus der Schwarzmeerregion in Spanien nicht mehr konkurrenzfähig, beobachtet jedoch Rasche. Da die skandinavischen Länder als wichtige Sommergerstenproduzenten aufgrund von Trockenheit mit Qualitätseinbußen rechnen müssten, dürfte dort einiges an Braugerste als Futtergerste vermarktet werden und ebenfalls um Absatz nach Spanien konkurrieren, schätzt er die Lage ein. Hinzu komme Gerste aus dem Vereinigten Königreich, die auf den westeuropäischen Markt drängen dürfte.

Rasche berichtet von Geschäften mit der Mischfutter-Industrie: „Derzeit laufen im Mischfutterbereich einige Abschlüsse, sodass auch das Interesse an Gerste für die neue Ernte gegeben ist.“ Während er dies mit den aktuell attraktiven Preisen für Schweinefleisch begründet, weist er darauf hin, dass die Anzahl der Mastschweine hierzulande rückläufig ist – was sich perspektivisch negativ auf das Geschäft mit Futtergerste auswirken dürfte.

China gibt Mais den Vorzug

Agravis-Analyst Chilla gibt unterdessen zu bedenken, dass die Exportnachfrage für deutsche Gerste im kommenden Wirtschaftsjahr 2023/24 „indirekt am Tropf der Nachfrage Chinas“ hänge. Der Importbedarf Chinas hat in den Wirtschaftsjahren 2020/21 bis 2023/24 den Angaben des US-Agrarministeriums (USDA) zufolge zwischen 7 und 12 Mio. t geschwankt. Aktuell sieht das USDA die Gersteneinfuhren der Volksrepublik 2023/24 bei 7 (Vorjahr: 7,7) Mio. t. Derzeit sei Körnermais aus Brasilien für China günstiger als Gerste, sagt Chilla.

Sollte China auch in der kommenden Saison anderem Futtergetreide den Vorzug geben, wird sich der Importbedarf am globalen Gerstenmarkt insgesamt gut bedienen lassen, so der Agravis-Experte. Daher sollte sich die Nachfrage nach deutscher Gerste auf den EU-Binnenmarkt und die heimische Mischfutternachfrage konzentrieren. Auch Chilla betont die Schlüsselrolle Spaniens: „Die Entwicklung der spanischen Gerstennachfrage nach den hohen Ernteausfällen dort bleibt der wichtigste Einflussfaktor für den EU-Markt.“

Indessen trüben sich nicht nur in Europa, sondern auch in Australien als weltweit wichtigem Gerstenanbieter die Aussichten auf die Wintergetreideerzeugung 2023/24 ein. Zwar hätten Niederschläge zu Beginn des Herbstes, der in dem Kontinent auf der Südhalbkugel mit dem Frühjahr in Europa zusammenfällt, die Feuchtigkeitsspeicher der Böden in einigen wichtigen Anbauregionen aufgefüllt, teilte das Amt für Agrarstatistik Abares kürzlich mit. Doch beispielsweise die nördlichen und südlichen Anbaugebiete des Bundesstaates Western Australia als wichtiger Kornkammer hätten unterdurchschnittliche Regenfälle bekommen. Die Saat sei folglich in trockene Böden ausgebracht worden und nun auf zeitige und ausreichende Niederschläge angewiesen.

El Nino bestimmt Ernte in Australien

In der dreimonatigen Niederschlagsprognose des australischen Wetterdienstes von Juni bis August stehen die Zeichen jedoch auf unterdurchschnittlichen Regenfällen in Australiens wichtigsten Anbaugebieten. Hinzu kommen die Erwartungen, dass sich das Klimaphänomen El Nino von Juli an in Australien einstellen wird. El Nino geht auf dem Kontinent in der Regel mit sehr heißem und trockenen Wetter einher. In dieser Gemengelage geht Abares davon aus, dass die australische Gerstenerzeugung 2023/24 um 30 Prozent auf rund 9,9 Mio. t zurückgehen wird – das wären in etwa 11 Prozent weniger als der Zehnjahresdurchschnitt.

Stefan Vogel, General Manager Research bei der Rabobank in Australien und Neuseeland, teilt die Einschätzung von Abares. Auf Anfrage weist er darauf hin, dass die Einbußen gegenüber dem Vorjahr sogar noch deutlicher sein könnten, sollte El Nino stark ausfallen. Abhängig von der Intensität des Klimaphänomens El Nino „Down Under“, dürften sich die Auswirkungen auf den globalen Gerstenmarkt mehr oder weniger signifikant entwickeln, erwartet auch Florian Rasche von team Agrar: Fallen die Produktionsrückgänge in Australien erheblich aus, habe das Land auch einen geringeren Exportüberschuss für Gerste. Dies könne dazu führen, dass die EU-Destinationen in Nordafrika wie etwa Saudi-Arabien wieder stärker bedient. Deutschland und Frankreich sind die beiden wichtigsten Exportnationen für Gerste in der EU. Die EU-Kommission schätzt die Gerstenausfuhren 2023/24 in Drittstaaten aktuell auf rund 10 Mio.t, das wären 1 Mio. t mehr als in der noch laufenden Saison 2022/23.

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